26. Der Häuptling mit den außergewöhnlichen Dienern

Vor langer Zeit, so lange, dass unsere Erinnerungen nur noch verschwommen sind, entschloss sich ein Häuptling zu einer Reise über seine Ländereien, um sich an deren Pracht zu erfreuen. Er war von diesen so angetan, dass er mit seinen großen Besitztümern prahlte, als er einen fremden Wanderer traf. Dieser sagte: "Ich kann von hier die Ländereien von Wakea und Papa sehen, und jene sind größer und prächtiger als die deinigen."
Da entschieden sie, gemeinsam nach dem wundervollen Land der Götter zu suchen.
Bald kamen sie an einem Mann am Wegesrand vorbei. Der Häuptling fragte ihn, was er da tue. Der Mann antwortete: "Ich bin Mama-loa, der Wieselflinke. Ich warte auf den Aufgang der Sonne, dann werde ich loslaufen und sie einfangen." Sie warteten alle, bis die Sonne erschien und über der Insel zu leuchten begann. Der Mann lief sehr schnell und fing sie, band sie an und hielt sie einige Zeit fest wie eine Gefangene.
Daraufhin beschlossen die drei ihre Reise gemeinsam fortzusetzen - der Häuptling, mit dem Namen Ikaika-loa, was soviel wie `der sehr Starke' bedeutet, der Mann, der scharfäugig über eine weite Distanz sehen konnte, dessen Name Ike-loa, `der Scharfäugige', war, und Mama-loa. Einige Zeit später trafen sie auf zwei am Wegesrand schlafende Männer. Der eine Mann zitterte vor Kälte, sein Name war Kanaka-make-anu, `der Mann der in der Kälte stirbt'. Der Andere war am Glühen, als ob er an einem Feuer läge; sein Name war Kanaka-male-wela, `der Mann, der in der Hitze stirbt'. Die drei Gefährten wärmten den einen und kühlten den anderen, und alle fünf setzten gemeinsam den Weg fort. Sie kamen zu einem Feld, in dem auf Ratten geschossen wurde, und trafen auf einen Mann, der dort mit Pfeil und Bogen stand und sehr geschickt zielte. Sein Name war Pana-pololei, `der zuverlässige Schütze'. Sie fragten ihn, ob er mit ihnen in das Land von Wakea und Papa gehen wollte und er beschloss, mit ihnen zu reisen. Bald darauf fanden sie am Wegesrand einen Mann liegen, der sein Ohr am Boden hielt. Der Häuptling fragte ihn: "Was tust du da?" Der Mann schaute auf und sagte: "Ich habe dem Streit zwischen Papa und Wakea zugehört." Der Mann, der diesem Streit zugehört hatte, hieß Hoo-lohe-loa, `der Mann der weit Entferntes hören kann'. Sie alle setzten gemeinsam die Reise fort und kamen in ein Land, welches schöner war als alles, was sie bis dahin gesehen hatten. Dieses Land lag in der Nähe des Nuuanu Tales.
Der Wächter dieses Landes sah sechs gutaussehende Männer kommen und einen siebten Mann, dessen Erhabenheit alle überragte. Die Kunde über die Ankunft dieser Fremden gelangte rasch zu der Herrscherin, die das Land im Auftrag von Wakea und Papa regierte. Sie trug ihrem Oberbefehlshaber auf, seine Krieger zu sammeln, den Fremden entgegenzugehen und sie zu ihrer Hütte zu begleiten. Dort angekommen wurden sie gastfreundlich aufgenommen. Während sie schliefen, versammelte die Herrscherin ihre Untertanen, so dass der Hof um ihre Hütte mit Menschen gefüllt war.
Am nächsten Morgen sagte Ikaika-loa, der Häuptling, zu der Herrscherin: "Ich habe gehört, dass du schwere Aufgaben stellst. Wenn ich deine Aufgaben löse, sollst Du mein Weib werden."
Die Herrscherin stimmte seinem Vorschlag zu. Und sie zog ihn aus dem Haus heraus und sagte: "Der Mann, der jetzt mein Ehemann ist, hält Wache vor der Tür des Hauses von Wakea und Papa. Wo ist die Tür dieses Hauses?" Der Häuptling wandte sich zu Ike-loa und fragte ihn heimlich, ob er die Tür von Papa's Haus sehen könne. Ike-loa drehte sich einmal um sich selbst und sagte dann: "Die Tür dieses Hauses ist bei dem Stamm des mächtigen Baumes. Wenn du stark genug bist, um den Stamm herauszureißen, kannst du die Tür finden, denn sie befindet sich in einer der Wurzeln des Baumes."
Der Häuptling ging zu diesem Baum, drehte ihn und hob den Stamm heraus, warf das Holz fort und öffnete die Tür.
Die Herrscherin stellte darauf die zweite Aufgabe: "Dort befinden sich drei Hunde. Einer gehört unserem obersten Häuptling Wakea, einer dessen Frau Papa und einer gehört mir. Kannst Du die Hunde bezeichnen, die jedem von uns gehören?"
Der Häuptling flüsterte seinem Diener Hoo-lohe-loa zu: "Lausche und merke dir die Namen der Hunde". Und der Mann, der so gut hören konnte, legte sein Ohr auf den Boden und hörte, wie Papa mit ihren Dienern sprach. "Der schwarze Hund von mir soll zuerst hinausgehen, dann der rote Hund von Wakea und zum Schluss der weiße, welcher der Herrscherin gehört." So wusste der Häuptling, wie er die Hunde bezeichnen musste.
Als der schwarze Hund aus der Tür hervor schoss, rief der Häuptling: "Das ist der schwarze Hund der Papa gehört."
Als der rote Hund folgte, sagte er: "Das ist der rote Hund von Wakea."
Dann kam der weiße Hund hinaus und der Häuptling rief: "Dieser weiße Hund gehört zu dir, oh Herrscherin."
Nachdem all dies geschehen war, bereiteten sie ein Festmahl vor. Als sie am Tisch saßen, stellte ihm die Herrscherin eine weitere Aufgabe: "Weit entfernt von hier entspringt das süße Wasser, welches wir am liebsten trinken. Du sendest einen deiner Männer und ich eine meiner Frauen, jeder mit einer Kalebasse für das Wasser. Wenn dein Mann als erster zurückkehrt, Während wir essen, werde ich deine Frau werden."
Der Häuptling gab die Kalebasse an Mama-loa weiter, und dieser machte sich zum Start bereit - an seiner Seite stand eine Frau mit ihrer Kalebasse. Auf das Kommando starteten sie ihren Wettlauf. Mama-loa lief geschwind, und dachte bei sich, dass es keinen anderen schnelleren Mann gäbe, als ihn Plötzlich die Frau überholte und weit hinter sich zurückließ.
Da rief der Häuptling Pana-pololei, den geschickten Schützen, und sagte ihm, er benötige sein Können. Dieser nahm seinen Bogen und einen Pfeil und Schoß. Weit, sehr weit flog der Pfeil und zischte genau am Hinterkopf der Frau vorbei. Sie war darüber so erschrocken, dass sie stolperte und zu Boden fiel, und der Wieselflinke rannte an ihr vorbei.
Nach einiger Zeit fragte der Häuptling Ike-loa, den Scharfäugigen: "Wie steht das Rennen jetzt?"
Der Diener antwortete: "Die Frau liegt erneut vorne."
Da fragte der Häuptling seinen Rattenjäger: "Hast Du noch einen weiteren Pfeil?" Und erneut flog ein Pfeil den hurtigen Läufern hinterher. Der Pfeil streifte die Frau am Gesaess, und sie fiel. Mama-loa überholte sie, stürzte zur Quelle, füllte die Kalebasse mit Wasser und machte sich auf den Rückweg. Aber auch die Frau war sehr geschwind. Schnell tauchte sie ihre Kalebasse in die Quelle, wendete und überholte den Mann. Doch ein heranfliegender Pfeil berührte sie am Kopf, und sie fiel vornüber, wobei die Kalebasse zerbrach und das Wasser sich auf den Boden ergoss. Aber sie konnte einen Rest des Wassers retten, sprang sofort wieder auf und hastete Mama-loa hinterher, der schon bald wieder hinter ihr hereilte.
"Ah, wie sie läuft! Sie fliegt an unserem Mann vorbei und hat den Wettlauf fast beendet", rief Ike-loa.
Da fragte der Häuptling noch einmal seinen Bogenschützen: "Oh Pana-pololei, hast du vielleicht noch einen weiteren Pfeil?" Der Bogenschütze zog einen stumpfen Pfeil hervor und Schoß ihn so ab, dass dieser auf die Brust der Frau traf. Das raubte ihr den Atem, sie fiel zu Boden und verlor das restliche Wasser aus ihrer zerbrochenen Kalebasse.
Der Häuptling nahm die Kalebasse seines Dieners entgegen, goss das Wasser in eine Kokosnussschale und gab es der Herrscherin zu trinken.
Als die Frau eintraf, fragte die Herrscherin sie nach dem Grund ihres Fallens. Die Frau antwortete: "Ich überholte diesen Mann, und Plötzlich traf mich etwas und riss mich nieder. Das passierte wieder und wieder, aber ich konnte den Grund nicht entdecken. Beim letzten Sturz zerbrach der Rest der Kalebasse, und ich verlor das übrige Wasser - und der Mann gewann das Rennen."
Inzwischen war der Läufer Mama-loa zu den anderen Dienern des Häuptlings zurückgekehrt und fragte sie: "Warum lacht ihr über mich? Habt ihr nicht meinen großartigen Sieg gesehen?"
Da lachten die Diener noch lauter und sprachen zu ihm: "Ha! Wenn wir dir nicht geholfen hätten, hättest du verloren." Sie erzählten ihm, wie der Weitsehende alles mitverfolgt hatte und was die Pfeile des Freundes erreicht hatten.
Die Herrscherin wandte sich an den Häuptling und forderte, dass er noch eine weitere Aufgabe lösen müsse, bevor die Hochzeit beginnen könnte.
Sie sagte: "In diesem Land gibt es zwei Orte, der eine ist sehr heiß und der andere sehr kalt. Wenn du mir zwei Männer schicken kannst, die an diesen Orten leben können, so werden wir heiraten."
Da sagte der Häuptling zu Kanaka-make-anu: "Du stirbst in der Kälte, daher kannst du für die Herrscherin zu dem Platz der Hitze gehen." Und Kanaka-make-wela, der Mann der keine Hitze ertragen konnte, wurde gefragt, ob er in die Kälte gehen wolle. Die Diener sagten darauf: "Ja, wir werden dort hingehen, aber niemals wiederkehren. Denn diese Plätze sind dazu bestimmt, unsere natürliche Heimat zu sein."
Und so blieben keine weiteren Aufgaben zu lösen. Der Häuptling und die Herrscherin feierten ihre Hochzeit und lebten Königlich in diesem wunderschönen Land der Götter.